Das Bundesministerium der Finanzen hat in dem neuen Anwendungserlass für § 153 Abgabenordnung (AO) versucht, das Spannungsverhältnis zwischen einer Selbstanzeige gemäß § 371 AO und der Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO zu lösen und einheitliche Maßstäbe für die Bewertung herauszugeben.
Hintergrund für diese Maßnahme ist die unbefriedigende Situation, dass keine einheitlichen Standards bestehen, wann eine Erklärung als Selbstanzeige gewertet wird und wann als reine Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO. Vor der Verschärfung des Steuerstrafrechts war diese Frage höchst theoretischer Natur und für die Praxis zumeist irrelevant. Mit dem nunmehr bestehenden Vollständigkeitsgebot bei Selbstanzeigen kommt dieser Entscheidung aber eine sehr entscheidende Rolle zu.
Das Praxisproblem mit dem Vollständigkeitsprinzip
Das Problem in der Praxis mit dem Vollständigkeitsgebot zeigt sich nunmehr wie folgt:
Beispiel:
Ein Unternehmen, das monatlich Umsatzsteuervoranmeldungen abgibt, erkennt, dass in einem Monat eine fehlerhafte Anmeldung erfolgt ist, welche zu einer Steuerverkürzung geführt hat.
Vor der Verschärfung des Steuerstrafrechts konnte ohne größeres Nachdenken dieser Umstand korrigiert und dem Finanzamt mitgeteilt werden. Ob dies als Selbstanzeige durch das Finanzamt gewertet wurde, war nicht relevant, da zum damaligen Zeitpunkt auch bei einer Anzeige nur eines Teils einer Steuerhinterziehung in Bezug auf diesen Teil Straffreiheit eintrat. Mit dem Vollständigkeitsgebot ist nunmehr aber eine genaue Prüfung notwendig, ob nicht noch in anderen Monaten oder gar in verschiedenen Veranlagungszeiträumen vielleicht auch fehlerhafte Anmeldungen erfolgten. Denn nur wenn sämtliche Steuerverkürzungen einer Steuerart offen gelegt werden, tritt Straffreiheit ein. Wird nachträglich erkannt, dass weitere Steuerverkürzungen vorlagen, ist die strafbereitende Selbstanzeige insgesamt unwirksam.
Genau hier stellt sich die entscheidende Frage, als welche Art von Anzeige (§ 371 AO oder § 153 AO) die Erklärung gewertet wird. Liegt ein Fall des § 153 AO vor, sind spätere Mitteilungen weiterer Verkürzungen unschädlich. Zudem besteht auch nicht die Gefahr, dass eine strafbefreiende Anzeige später unwirksam wird, da überhaupt keine Bestrafung im Zusammenhang mit § 153 AO vorgesehen ist.
Dieser Anwendungserlass versucht nun hier eine einheitliche und klare Handlungsanweisung zu geben. Denn es ist höchst streitig, ob überhaupt ein Rechtsmittel gegen die Wertung des Finanzamtes besteht, ob eine Selbstanzeige oder eine reine Berichtigung nach § 153 AO vorliegt. Dies ist aber für den Steuerpflichtigen, wie dargestellt, mit gravierenden Konsequenzen verbunden und Ungleichbehandlungen sind vorprogrammiert.
Ob dieser Anwendungserlass zu einer Vereinheitlichung beiträgt und Rechtssicherheit bringt, bleibt abzuwarten. Zumindest zeigt dieser Schritt, dass dem Bundesministerium diese unbefriedigende Situation bewusst ist.